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6/ Celetna Straße 568, Ovocny trh (Obstmarkt) 19/ 569, Prag 1 - Altstadt

Josef Gocar, Kaufhaus U Cerné Matky Bozí (Zur Schwarzen Mutter Gottes), 1912

Der Großkaufmann Frantisek Josef Herbst aus Prag-Vinohrady (Weinberge) bestellte im Jahre 1911 bei Josef Gochár das Projekt für ein großes Kaufhaus, das den Platz von zwei seiner alten Häuser an der Spitze des Baukomplexes zwischen dem Ovocny trh (Obstmarkt) und der Celetná- (Zeltner-).Gasse einnehmen sollte. Der Magistrat der Hauptstadt Prag war sich dabei der exponierten Lage dieses Neubaus beim alten Krönungsweg der böhmischen Könige bewußt und stellte deshalb die Bedingung, daß die Fassade des neuen Hauses "in ihrem Maßstab und der gesamten Lösung mit Rücksicht auf das altehrwürdige Milieu" komponiert werden müsse, "das durch das neue Gebäude in keinerlei Weise gestört werden dürfe". Mehr wollte der Magistrat die schöpferische Freiheit des modernen Architekten freilich nicht einschränken. "Es ist im Gegenteil notwendig, die Fassade im modernen Stil als Ausdruck der architektonischen Auffassung der heutigen Zeit und als Werk, das den modernen Anforderungen entspricht" zu verwirklichen.

Gocárs erstes Projekt vom Frühling oder Sommer 1911, eher präkonstruktivistisch als kubistisch aufgefaßt, stieß auf den Widerstand des Denkmalschützers und k.u.k. Konservators Lubos Jerábek, dem die Fenster des Hauses allzu groß vorkamen, das Gesims zu weit hervortretend, die Säulchen im 3. Stockwerk zu kantig und das Dach ungenügend schräg. Auch "die Statue der Schwarzen Mutter Gottes möge etwas niedriger eingesetzt werden". Gocár kam den Einwänden Jerábeks in der Weise nach, daß er in seinem neuen Projekt vom Januar 1912 den kubistischen Charakter verstärkte. Schon 1911 sollte das Haus eine gebrochene Fassade erhalten, ein stufenförmiges Mansardendach und spitze Eindeckungen der Mansardenfenster. Im Jahre 1912 kam ein kubistisch gestalteter Eingang hinzu, kubistische Balkongeländer, in gleicherArt geformte Kapitelle der Zwischenfenstersäulchen und gebrochene Fenster, "bay windows", die die ursprünglichen flachen Fenstertafeln ersetzten. Das Geländer der Wendeltreppe innerhalb des Baus erhielt gleichfalls kubistische Formen ebenso wie manche unübertragbare Möbelstücke. Die Verwirklichung des Gocár-Projektes übernahm die Baufirma Matej Blecha und am Ende des Jahres 1912 war das Haus fertig.

Bei der Konzeption des Baus benützte Gocár eine neue Konstruktion, ein Eisenbetonskelett, mit dem er zur selben Zeit auch beim Bau des Kurhauses in Bad Bohdanec (1912-1913) arbeitete. Das Skelett aus Eisenbeton ermöglichte ihm alle überflüssigen Wände und Querwände loszuwerden, den Innenraum des Hauses dadurch zu vereinheitlichen und ihn zugleich nach außen zu öffnen. Von besonderer Wirkung war die Lösung der ersten Etage des Hauses, dessen gesamte Fläche, nur durch das Treppenhaus verkleinert, ein einziger großer Raum eines Cafés war. Gocárs Virtuosität beruhte jedoch vor allem darin, wie ungezwungen die Äußerungen dieser architektonischen Denkweise mit dem gegebenen Milieu in Einklang standen, das von einigen malerischen Häusern des Barocks und Neobarocks beherrscht wurde.

Die alte Bebauung an der Stelle des Gocár-Hauses wird mit dem "kubistisch" gebrochenen Grundriß in Erinnerung gebracht, der getreu die alte Form des Grundstücks umreißt, sowie auch von dem Mariensäulchen an der Ecke von Gocárs Neubau.

In den Jahren 1993-1994 wurde das Haus nach dem Projekt von Karel Prager voll rekonstruiert. Aus den Innenräumen wurden alle zusätzlich eingebauten Querwände und falsche Decken beseitigt, hinter denen in beiden Mansardenetagen ursprünglich Gochárs Eisenbetonwölbungen erschienen, die an die gotische Wölbung erinnern. Die Absicht, das Café in der ersten Etage wieder zu erneuern. wurde leider nicht realisiert. In den höchsten Etagen des Hauses errichtete das Tschechische Museum bildender Künste eine Dauerexposition tschechischer kubistischer Malerei, Bildhauerkunst, Architektur und Kunstgewerbe, die meistens aus eigenen Museumsammlungen, jedoch auch aus den Sammlungen des Kunstgewerbemuseumes und des Nationalen Technischen Museums in Prag, sowie aus andern öffentlichen staatlichen Sammlungen stammen. Jaroslav Seifert 'Gebet auf dem Gehsteig' 1921: "In Gedanken versunken / erreichte ich die Ecke des Obstmarktes und der Zeltnergasse / fiel auf dem Gehsteig auf die Knie / und hob meine Augen zur Schwarzen Mutter Gottes / die da steht / und ihre Hand hält über mir / und höret mein Gebet: Heilige Maria / wenn es schon sein muß, daß ich wie ein Hund verrecke / dann soll es auf der Barrikade der Revolution sein / und der Tag sei schön und mein Gewehr im Anschlag."

R.S.

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